Norwegen, das ist ewiger Winter, kobaltgrüne Polarlichter und Kabeljau. Doch seit einigen Jahren zeigt ein mutiger Winzer, dass Norwegen auch mehr, milder sein kann. Im Süden des Landes keltert Erik Lindås Weiß- und Rotweine. Mit Entdeckergeist, superresistenten Sorten und ein wenig Wahnsinn.
Schwarzer Filzhut auf dem Haupt und schwielige Hände in den Hosentaschen spaziert Erik durch sein Weingut. Alle paar Meter hält er inne, streichelt und streicht die Blätter der Rebe bei Seite. Blickt gedankenversunken auf seine Trauben. „Jedes Jahr besser, jedes Jahr mehr. Weiter so“, flüstert er. Spricht mit sich, dem Boden, der Pflanze. Was zuerst wie eine ganz normale Liebesanekdote zwischen einem Weinbauern und seinem Erzeugnis aussieht, ist deshalb speziell, da Eriks Gut nicht in den traditionellen Weinanbaugebieten der Welt liegt. Nicht in Burgund oder der Toskana. Das Gut Skudeneset Gaard von Erik Lindås ist tausende Kilometer von den Ursprüngen des Weinanbaus entfernt. Es liegt in Søgne. Durchschnittliche Jahrestemperatur von 8 Grad Celsius, maximal 20 Grad im Sommer. Rauer Wind und kalte Meeresgischt. Ein Paar-Seelen-Dorf an der norwegischen Südküste.
Erik und einige weitere norwegische Weggefährten versuchen seit einigen Jahren die Folgen des Klimawandels für sich zu nutzen. Weinbau war hier, im Land der Fjorde und Elche, noch vor kurzer Zeit absolut unvorstellbar. Denn wer guten Wein anbauen will, braucht vor allem Sonne und Wärme und ist deshalb in südlicheren Breitengraden besser bedient. In Italien, Südfrankreich oder Spanien. Der Klimawandel scheint diese geographische Begrenzung jedoch mehr und mehr aufzuweichen und tausendjährige Gesetzmäßigkeiten des Rebbaus zu untergraben. So sehr, dass die Ernte in den bekannten, prestigereichen Weingebieten der Welt heute immer früher kommt, weil die Trauben schneller reifen. So sehr, dass mittlerweile subsaharische Sommer durch die Weinfelder Italiens oder Kaliforniens ziehen. So sehr, dass auch vermeintlich kalte Regionen wie Norddeutschland, England oder Polen ihr Glück im Weinanbau versuchen. Dieses vermeintliche Glück treibt auch Erik Lindås an.
2012 pflanzte er deshalb hier, knapp 150 km südlich von Oslo, seine ersten Reben. „Wir wussten von Anfang an, dass es schwierig werden würde. Wir waren zu Beginn nicht einmal sicher, ob die Pflanzen überhaupt wachsen würden, geschweige denn, ob sie Früchte tragen“, erinnert er sich. Für den Anbau setzte Erik auf die beiden Hybridrebsorten Solaris und Rondo. Resistent gegen Kälte und Pilzbefall. Frühe Blüte, geringe Ansprüche an den Boden. Zähe Sorten für zähes Land. „Frost ist unser allergrößter Feind. Bis Mitte Mai kann er andauern und häufig schon wieder Anfang Oktober einsetzen. Für diese kurzen Sommer brauchen wir besondere Reben“, so Erik. Bei solchen Bedingungen sei es immer noch extrem schwierig, Rotwein mit vollen, reifen Trauben anzubauen. Dafür reiche die warme Jahreszeit schlichtweg nicht aus. „Noch nicht“, scherzt Erik. „Reben für Sektweine sind hingegen einfacher, sie vertragen das Klima eher und können früher geerntet werden.“
Und weil die Temperaturen steigen, die Winter milder, die Sommer auch hier heißer werden, steigt die Produktion. „Den Klimawandel spüre ich Tag für Tag“, so Erik. Zwiegespalten ist er, freut sich und blickt dann wieder nachdenklich. „Die Erderwärmung spielt mir als norwegischem Weinbauern natürlich in die Karten. Rebsorten, die vor zwanzig Jahren noch unmöglich hier gedeihen konnten, werden nun getestet und gepflanzt.“ Als Folge versuchen sich auch andere Bauern am norwegischen Weinbau. Sie alle sehen im Klimawandel eine Chance, ein Stück vom weltweiten „Weinkuchen“ abzubekommen – ein Geschäft, das 2019 knapp 285 Milliarden Dollar generierte und jährlich um etwa 3 Prozent steigt.
„Wir produzieren zwar immer noch in winzigen Mengen, können aber mittlerweile schon vom Weinbau leben“, so Erik. 1.500 Flaschen waren es im vergangenen Jahr – Tendenz stark steigend. Neben dem traditionellen Weinanbau betreiben er und seine Frau einen kleinen Ausschank, verkaufen dort ihre Weine an Einheimische, vor allem aber an staunende Touristen. „Wir sind ein exotisches Produkt. Das lässt sich natürlich gut verkaufen.“ 580 Kronen kostet so eine Flasche in Eriks Laden, umgerechnet stolze 60 Euro. „Alkohol in Norwegen ist generell sehr teuer. Auf jede Flasche Wein kommen 5 Euro an Alkoholsteuer. Dies führt dazu, dass billiger Wein prozentuell stark im Preis steigt, teurer Wein nur sehr wenig.“
Erik, der Mutige, glaubt an seinen Wein. „Die Bedingungen sind sicherlich nicht ideal, aber sie werden jedes Jahr besser.“ Die langen norwegischen Sommertage mit bis zu 20 Stunden Sonne am Tag werden immer wärmer. Und die kühlen, kurzen Nächte würden dem Wein Frische geben. „Ausgezeichnet für Sekt oder Weißweine“, erzählt Erik, schmunzelt dabei wie ein kleines Kind. Freut sich über einen Streich, der aufzugehen scheint. Auch das Meer, das keine zehn Gehminuten von Eriks Weingut entfernt ist, hilft ihm bei seiner Arbeit. „Je näher an der Küste, desto weniger Probleme mit frühem oder spätem Frost“, erzählt er.
Gleichzeitig versucht Erik, realistisch zu bleiben. „Ich bin mir bewusst, dass norwegischer Wein für lange Zeit nur in sehr kleinen Mengen produziert werden kann. Aber schon ein Grad mehr in der durchschnittlichen Jahrestemperatur kann enormen Einfluss auf unsere Weine haben.“
Ähnlich schätzen auch Weinexpertinnen und Weinexperten aus Süd- und Mitteleuropa den norwegischen Weinanbau ein. Die drastische Erderwärmung wird Weinanbau in solchen Gebieten rein theoretisch möglich machen. „In den nächsten Jahren und Jahrzehnten muss sich aber erst zeigen, ob man sowohl Quantität als auch Qualität solcher Weine gewährleisten kann“, so Emilio Zierock, Besitzer der Agricola Foradori, die sowohl im Trentino als auch in der Toskana Wein anbaut. Nicht zu unterschätzen sei laut Zierock die Pionierleistung der Bäuerinnen und Bauern aus dem hohen Norden. „Dass ein solcher Wein jedoch qualitativ mit südeuropäischen Konkurrenten mithalten kann, halte ich noch für unrealistisch. Die eingesetzten, superresistenten Hybridrebsorten sind ein klares Indiz dafür, dass die Bedingungen für den Weinanbau einfach noch nicht vollkommen gegeben sind“, so der Winzer.
Von solchen Stimmen will Erik Lindås sich nicht abschrecken lassen. „Im Gegenteil. Sie spornen mich an, mein Ziel zu erreichen. Den besten Sekt Skandinaviens zu produzieren.“
Vorbild für Erik und die Winzerinnen und Winzer Norwegens sind Großbritannien und die dortigen Weinträumer: Vor über 20 Jahren – als die Worte „Klimawandel“ und „Erderwärmung“ noch nicht in aller Munde waren – pflanzten Bauern die ersten Reben im Süden der Insel. „Sie wurden damals nur belächelt. Heute gibt es einige englische Spitzenweine“, erzählt Erik. „Ich werde meinen Teil dazu beitragen, dass es dem norwegischen Wein genauso gehen wird.“
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