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Die vielfältigen Leistungen kleinbäuerlicher Familienbetriebe

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Die vielfältigen Leistungen kleinbäuerlicher Familienbetriebe
Bäuerliche Kleinbetriebe nutzen Agrarflächen besser als Großbetriebe. - © IDM Vinschgau Marketing Frieder Blickle

Auf den ersten Blick scheinen kleinbäuerliche Betriebe ineffizient und für die moderne Landwirtschaft irrelevant. Doch wer hätte das gedacht: Mehr als 70% der Weltbevölkerung beziehen ihre Nahrungsmittel hauptsächlich oder ausschließlich von Kleinbäuer*innen.

Um diese Nahrungsmittel zu produzieren, benötigen die kleinbäuerlichen Betriebe aber nur 25% der weltweit in der Landwirtschaft verbrauchten Ressourcen – einschließlich Land, Wasser oder fossiler Brennstoffe. Sowohl die weltweite Ernährungssicherheit als auch die ökologische Nachhaltigkeit hängen also von den mehr als 500 Millionen kleinbäuerlichen Familienbetrieben ab, die in den meisten Ländern das Rückgrat der Landwirtschaft bilden. Das ist die Kernaussage eines 2014 von der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO veröffentlichten Berichtes.

Diesem Bericht zufolge sind 90% der weltweit 570 Millionen landwirtschaftlichen Betriebe Familienbetriebe. Sie produzieren 80% der Lebensmittel, die auf der Welt konsumiert werden. Die große Mehrheit der Betriebe ist klein: Rund 94% aller landwirtschaftlichen Betriebe weltweit sind kleiner als 5 Hektar, insgesamt bewirtschaften sie nur 19% aller landwirtschaftlich genutzten Flächen. 72% der Familienbetriebe verfügen sogar über weniger als einen Hektar Land.

Was ist ein landwirtschaftlicher Familienbetrieb?

Laut Standarddefinition ist ein Familienbetrieb in erster Linie ein landwirtschaftlicher Betrieb, in dem die Familienmitglieder die meisten der erforderlichen Ressourcen (Land, Gebäude, Kulturen, Tiere, Maschinen, Wissen, Netzwerke usw.) kontrollieren und die meiste, wenn nicht die gesamte Arbeit leisten. In der EU mit 174 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Flächen (Großbritannien noch eingerechnet) sind rund 97% der insgesamt 12,25 Millionen landwirtschaftlichen Betriebe als Familienbetrieb klassifiziert.

Größer als 50 Hektar sind dagegen nur 1% aller Betriebe weltweit – sie kontrollieren aber zwei Drittel der landwirtschaftlich genutzten Flächen. Innerhalb der EU27 machen diese Betriebe, die im Durchschnitt eine landwirtschaftliche Fläche von über 1000 Hektar bewirtschaften, nur 0,6% aus, bewirtschaften aber laut Berechnungen der Food and Agriculture Organisation (FAO) 20% der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche in Europa. Das entspricht insgesamt 35 Millionen Hektar, was in etwa der Gesamtfläche Deutschlands entspricht.

…und was ein landwirtschaftlicher Kleinbetrieb?

Eine allgemeingültige Definition gibt es nicht, aber für EUROSTAT und FAO sind Betriebe mit einer landwirtschaftlichen Fläche von weniger als 5 Hektar „Kleinbetriebe“. Demnach fallen 67% aller landwirtschaftlichen Betriebe in der EU in diese Kategorie. Sie befinden sich zum Großteil in peripheren Regionen wie Nordskandinavien, Schottland und Irland, Südosteuropa und in allen Mittelmeerländern und Gebieten mit geringer landwirtschaftlicher Produktivität, wie beispielsweise Gebirgsregionen.

Mit Blick auf die Arbeitskräfte kann ein Betrieb als kleinbäuerlich definiert werden, wenn er weniger als 1,5 Personen in Vollzeitäquivalenten beschäftigt.Eine weitere Möglichkeit der Unterscheidung von kleinen und großen landwirtschaftlichen Betrieben ist der Blick auf die Wirtschaftlichkeit. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Größe können landwirtschaftliche Betriebe mit einem Standarddeckungsbeitrags unter 9.600€ als kleine Betriebe eingestuft werden. Dieser Schwellenwert wird verwendet, um sehr kleine und kleine Betriebe mit einem geringem Einkommen von solchen mit hohem Einkommen zu unterscheiden.

Was machen Kleinbäuer*innen besser als Großbetriebe?

Vergleicht man in einem Land Bauernhöfe mit ähnlichen Agrarumweltbedingungen, dann weisen kleine bis mittlere Betriebe höhere Erträge auf als größere Betriebe, bei gleichzeitig viel geringeren Auswirkungen auf die Umwelt. Ein geringerer Einsatz von Betriebsmitteln, zum Beispiel von Pestiziden, bedeutet, dass Kleinbetriebe im Vergleich zu Industriebetrieben weniger negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt haben. Tatsächlich spielen sie eine wichtige Rolle bei der Erhaltung und Verbesserung der biologischen Vielfalt. In einer kleinstrukturierten Landwirtschaft werden zahlreiche Lebensräume geschaffen und gepflegt, in denen einheimische Pflanzen und Tiere siedeln und wachsen können. Außerdem neigen Betriebe mit kleinen Parzellen eher dazu, die natürliche Landschaft zu akzeptieren, anstatt Hügel, Bäche oder andere Landschaftselemente zu zerstören. Durch traditionelle landwirtschaftliche Praktiken wurden zudem Landschaften geschaffen, an die sich im Laufe der Jahrhunderte viele Arten angepasst haben. Traditionell bewirtschaftete Gebiete sind daher äußerst reich an biologischer Vielfalt, und durch die Fortführung traditioneller Praktiken tragen Kleinbauern dazu bei, diese Vielfalt zu erhalten.

Darüber hinaus sind kleine landwirtschaftliche Betriebe widerstandsfähiger gegenüber Umweltveränderungen und Naturkatastrophen, was im Zusammenhang mit dem Klimawandel von besonderer Bedeutung ist. Miguel Altieri argumentiert, dass „traditionelle Agrarökosysteme, auf die sich Kleinbetriebe stützen, weniger anfällig für katastrophale Verluste sind, weil sie eine große Vielfalt an Nutzpflanzen und Sorten in verschiedenen räumlichen und zeitlichen Anordnungen anbauen“. Daher machen Kleinbetriebe unser Ernährungssystem widerstandsfähiger gegenüber dem Klimawandel, aber auch gegenüber anderen Katastrophen.

Kleinbäuer*innen sichern Arbeitsplätze

Kleine Bauernhöfe sind auch für die lokalen Gemeinschaften von großem Nutzen. Aktuelle EU-Statistiken zeigen, dass die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe abnimmt und damit auch die Zahl der Landarbeiter. Die aufstrebenden großen Agrarunternehmen beschäftigen nämlich weniger Arbeitskräfte, was zu Arbeitslosigkeit auf dem Land und schließlich zu Landflucht führt. Kleine landwirtschaftliche Betriebe wiederum bieten Beschäftigungs- und Einkommensmöglichkeiten in ländlichen Regionen, wo diese eher knapp sind; sie sind daher entscheidend, um ländliche Gemeinschaften zu erhalten. In der EU27 decken größere landwirtschaftliche Betriebe (gemäß der Definition von EUROSTAT) 20 % der gesamten landwirtschaftlichen Fläche ab, generieren aber nur 5 % der gesamten landwirtschaftlichen Beschäftigung.

Kleinbäuer*innen erzeugen mehr Produkte auf weniger Fläche

Gleichzeitig sind kleine Betriebe pro Flächeneinheit produktiver als größere Konzernbetriebe. Nach Angaben von EUROSTAT ist die Standard-Bruttomarge pro Hektar in den meisten europäischen Ländern in kleineren Betrieben höher, wenn nicht sogar weit höher als in größeren Betrieben. Die Folge ist, dass größere Betriebe (nach EUROSTAT-Definition), die 20% der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche nutzen, laut Berechnung der FAO nur 11% der gesamten europäischen Agrarproduktion erwirtschaften (hier berechnet als die gesamte Standardbruttomarge der EU27).

Kleinbetriebe sind also ein entscheidendes Element des europäischen Agrarsystems. Sie produzieren den größten Teil und eine große Vielfalt gesunder Lebensmittel, sie bieten Arbeitsplätze vor Ort und sichern die Widerstandsfähigkeit unseres Ernährungssystems. Kleine Landwirtschaftsbetriebe unterstützen aufgrund ihrer natürlichen Heterogenität in hohem Maß die biologische Vielfalt und fördern die ökologische Widerstandsfähigkeit.

Dennoch verschwinden überall in Europa kleine landwirtschaftliche Betriebe. Sie haben Mühe, mit den großen multinationalen Agrarunternehmen zu konkurrieren. Sie stehen -auch in Europa– unter dem Druck des Landgrabbings durch finanzkräftige Investoren. Und sie stehen vor ernsthaften Herausforderungen, um öffentliche Unterstützung zu erhalten, da sie oft als unrentabel und veraltet angesehen werden. Seit den 1950er Jahren sind in Westeuropa viele kleine landwirtschaftliche Betriebe verschwunden und mit ihnen auch das lokale Wissen, das für eine hochverdichtete, diversifizierte, multifunktionale Landwirtschaft auf kleinen Parzellen erforderlich ist.

Wie sieht es in Südtirol aus?

Die Ergebnisse der letzten Landwirtschaftszählung 2010 zeigen, dass 61% der landwirtschaftlichen Betriebe in Südtirol weniger als 5 Hektar bewirtschaften. Das ist etwas weniger als im EU-Durchschnitt. In knapp 91% der Betriebe ist der Bewirtschafter auch zugleich der Betriebsleiter. Über 90% der Arbeitstage werden in Südtirol auf landwirtschaftlichen Betrieben von familieneigenen Arbeitskräften geleistet. Auch wenn für Südtirol keine eindeutigen Zahlen zur Kategorie „Familienbetrieb“ zur Verfügung stehen, kann angenommen werden, dass mehr als 90% der Betriebe Familienbetriebe sind. (ASTAT 2013)

Jene Kleinbäuer*innen unterstützen, die einen Beitrag zur Ernährungssicherheit leisten

Im Dezember 2018 wurde, nach jahrelangen Verhandlungen, die UN Deklaration für die Rechte der Kleinbäuer*innen verabschiedet. Die UN haben die Jahre 2019 bis 2028 zur Dekade der bäuerlichen Familienbetriebe erklärt. Diese Betriebe stellen das Rückgrat der weltweiten Lebensmittelversorgung dar. Sie gilt es politisch wie finanziell zu unterstützen

Jutta Staffler

Jutta Staffler

Jutta Staffler setzt sich mit dem Thema Agrarökologie auseinander und beschäftigt sich mit sozialen und landwirtschaftlichen Fragen zum Thema Ernährungssouveränität. Und wenn sie sich gerade nicht mit der Rettung der Welt oder einem Buch beschäftigt, streift sie gerne durch die Botanik, sammelt Kräuter und nascht Wildgemüse.

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Citation

https://doi.org/10.57708/b9901461
Staffler, J. Die vielfältigen Leistungen kleinbäuerlicher Familienbetriebe. https://doi.org/10.57708/B9901461

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