ScienceBlogs
Home

Die Zeit des unüberlegten Reisens ist vorbei

1
1
Die Zeit des unüberlegten Reisens ist vorbei
"Nur mit Wellnesstempeln ist es nicht getan", sagt Harald Pechlaner - © Eurac Research Tiberio Sorvillo

Nachhaltigkeit ist ein schwammiger Begriff. Das weiß auch Harald Pechlaner. Er ist Leiter des Center for Advanced Studies von Eurac Research und wissenschaftlicher Direktor der Beobachtungsstelle für nachhaltigen Tourismus in Südtirol. Tourismus ist dann nachhaltig, wenn wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen Rechnung getragen wird. Gleichzeitig gilt es, die Bedürfnisse der Gäste, der Branche, der Umwelt und der lokalen Bevölkerung zu berücksichtigen. Was das für den Tourismus in Südtirol bedeutet, bespricht Pechlaner im Interview.

Eurac Research: Herr Pechlaner, als Wirtschaftswissenschaftler sind Sie seit vielen Jahren in der Tourismusforschung tätig. Wann und wie wurde für Sie der Wendepunkt der Branche hin zur Nachhaltigkeit sichtbar?

Harald Pechlaner: Der Tourismussektor hat schon vor 10 bis 15 Jahren damit begonnen, sich mit Nachhaltigkeit zu beschäftigen – allerdings wurde das Konzept lange sehr oberflächlich verstanden. Zunächst stand der ökologische Aspekt in den Betriebsabläufen im Fokus – Fragen wirtschaftlicher und sozialer Nachhaltigkeit wurden erst später gestellt. Nun, da auch die Märkte sensibel auf diese Fragen reagieren, sind die Gastgebenden umso mehr bereit, sich damit auseinandersetzen.

Wo muss der Tourismussektor in Südtirol nachbessern? Wo liegen seine Stärken?

Pechlaner: Südtirol ist zwar nicht Pionierregion, aber gut unterwegs. Es gilt nun, die Anstrengungen weiter zu verschärfen - vor allem, was den Klimadiskurs betrifft. Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Digitalisierung müssen stärker ineinandergreifen. Vor allem im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit fehlen ernsthafte Projekte. Eine aktuelle Bevölkerungsbefragung von Eurac Research und dem Landesinstitut für Statistik ASTAT zeigt, dass die Südtirolerinnen und Südtiroler sich gezielteres Handeln wünschen. Das betrifft im Sinne der Lebensraumentwicklung auch den Tourismus.

Der Tourismus hat den Wohlstand ins Land gebracht, so das lange geltende Narrativ. Für die jungen Menschen ist das aber keine relevante Erzählung mehr. Sie wollen einen Tourismus, der nachhaltig ist.

Harald Pechlaner

Im Landestourismusentwicklungskonzept 2030+ betonen Sie, dass Tourismus ohne die Akzeptanz der lokalen Bevölkerung nicht zukunftsfähig sein kann. Inwiefern muss diese miteinbezogen werden?

Pechlaner: Wir alle sind Teil des Tourismusangebots – ob wir wollen oder nicht. Unbewusst hat man die Bevölkerung in Südtirol schon früh in die touristische Entwicklung eingebunden. Viele Südtirolerinnen und Südtiroler haben mit Privatzimmervermietung, Urlaub auf dem Bauernhof oder sonstigen Aktivitäten vom Tourismus profitieren können. Dadurch, dass der Tourismus so breit aufgestellt war, war auch die Akzeptanz in der Gesellschaft hoch. Heute schaut die Sache anders aus. Wir haben sehr viele Betriebe verloren – vor allem Klein- und Kleinstbetriebe. Vier- und Fünf-Sterne-Häuser sind die Regel. Der Drei-Sterne-Betrieb, der immer das Rückgrat des Südtiroler Tourismus war, kommt zunehmend unter Druck. Es ziehen nun also deutlich weniger Südtirolerinnen und Südtiroler ökonomische Vorteile aus dem Tourismus und damit tut sich die Branche schwer, ihre gesellschaftliche Bedeutung zu erklären. Südtirol ist absolut en vogue. Man hat die richtigen Lifestyles getroffen, man hat ein attraktives Angebot geschaffen. Trotzdem wird aus dem Erfolg irgendwann der größte Feind. Man erkennt nun, dass die Sensibilität für Wachstumsfragen urplötzlich gesellschaftlich relevant wird. Der Tourismus hat den Wohlstand ins Land gebracht, so das lange geltende Narrativ. Generationen von Tourismustreibenden und Generationen von Südtirolerinnen und Südtirolern waren davon überzeugt. Für die jungen Menschen ist das aber keine relevante Erzählung mehr. Sie wollen einen Tourismus, der nachhaltig ist.

Nun werden viele soziale Probleme mit dem Tourismus verknüpft. Etwa Tourismus und leistbares Wohnen.

Pechlaner: Auch Verkehr und Wasserverbrauch. Der Tourismus kann dieser Wahrnehmung nur gegensteuern, indem er selbst extrem nachhaltig wird, also die Flucht nach vorn antritt. Das Fehlen an Wohnraum ist gewiss nicht die alleinige Schuld des Tourismus, und das hohe Verkehrsaufkommen genauso wenig, aber entziehen kann man sich dieser Diskussion deshalb nicht.

Um die Tourismusgesinnung wäre es schlecht bestellt, wenn wir nur mehr Großhotels hätten.

Harald Pechlaner

Wie bewerten Sie die mediale Aufmerksamkeit, die dem Thema gewidmet wird?

Pechlaner: An der Intensität der Diskussion wird deutlich, wie wichtig der Tourismus für Südtirol ist. Wir befinden uns mitten in einer Transformation. Südtirol ringt um seine Zukunft und der Tourismus spielt dabei eine große Rolle. Solche Transformationsprozesse bewegen sich immer im Wechselspiel zwischen defensivem und proaktivem Verhalten. Die Beobachtungsstelle für nachhaltigen Tourismus in Südtirol, die am Center for Advanced Studies von Eurac Research angesiedelt ist, kann eine Objektivierung in die Diskussion einbringen. Evidenz ist der Schlüssel, um gute Entscheidungen zu treffen und die Branche tut gut daran, das zu verinnerlichen, um nicht immer in der Defensive zu sein. Dadurch, dass der Tourismus so differenziert ist, kommt hinzu, dass sich sehr viele Stimmen zu Wort melden. Das sorgt nicht unbedingt für ein geschlossenes Bild in der Öffentlichkeit. Es geht darum, das Gemeinsame und die besonderen Vorteile des Tourismus in einem ausgewogenen Sinne in den Blick zu nehmen. Nachhaltigkeit heißt auch Ausgewogenheit.

Jetset versus Flug- oder Reisescham. In einem Sektor, der stark auf Wellness und Sorglosigkeit ausgerichtet ist, ist ein schlechtes Gewissen Gift für das Geschäft. Ist dieser Wertewandel gekommen, um zu bleiben?

Pechlaner: Ich glaube, er wird sich verfestigen. Wir sind am Ende des unüberlegten Reisens angekommen. Flugscham ist ein Zeichen dafür, dass wir selbst bereit sind, auf bestimmte Freiheiten zu verzichten. Die Menschen werden immer reisen wollen, aber die Reiseströme und Bedürfnisse ändern sich. Nur mit Wellnesstempeln ist es nicht getan. Da braucht es schon auch eine Nachhaltigkeit im Sinne von völlig unterschiedlichen Tourismusangeboten: günstigeren und teureren. Um die Tourismusgesinnung wäre es schlecht bestellt, wenn wir nur mehr Großhotels hätten.

Dadurch, dass der Tourismus so differenziert ist, melden sich sehr viele Stimmen zu Wort. Das sorgt nicht unbedingt für ein geschlossenes Bild in der Öffentlichkeit.

Harald Pechlaner

Wie kann ein nachhaltiges Tourismusangebot für Südtirol aussehen?

Pechlaner: Es braucht ein Angebot, das auch kleineren Portemonnaies zugänglich ist und es dürfen am Ende auch nicht zu viele Gäste kommen. Tragfähigkeit bedeutet tatsächlich, dieses Wachstum zu verlangsamen, was wir jetzt schon mit dem sogenannten Bettenstop tun. Es braucht Spielräume, um sich den Gästen zu widmen - denn dafür sind diese auch bereit, zu zahlen. Die Herausforderung im Tourismus ist es außerdem, die gesamte Dienstleistungskette – von der Buchung, Anreise, Ankunft, Beherbergung, Gastronomie und Verpflegung, zu den verschiedenen Aktivitäten in der Destination bis hin zu Ab- und Rückreise – so zu gestalten, dass man soziale, wirtschaftliche und ökologische Nachhaltigkeit gleichermaßen berücksichtigt. Nachdem die Nachhaltigkeit ein dermaßen schwammiger Begriff ist, geht es darum, Glaubwürdigkeit zu schaffen: das kann über Zertifizierungen funktionieren.

Worauf achten Sie selbst beim Reisen?

Pechlaner: Es ist ein bewussteres Reisen. Ich bin berufsbedingt viel unterwegs, achte aber sehr darauf, wie, wohin und vor allem warum ich reise.

Harald Pechlaner

Harald Pechlaner ist Leiter am Center for Advanced Studies von Eurac Research in Bozen und Professor für Tourismus an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt sowie Leiter des dort angesiedelten Zentrums für Entrepreneurship. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der nachhaltigen Destinationsentwicklung sowie ausgewählter Fragen der Global Governance in der Verknüpfung zu Wirtschaft und Politik. Seit 2014 ist er ständiger Forschungsgastprofessor an der Curtin Business School in Perth, Australien und Präsident der AIEST (Association Internationale d‘Experts Scientifiques du Tourisme), der weltweit ältesten Vereinigung von Experten der Tourismuswissenschaften mit Sitz an der Universität St. Gallen. Seit fünf Jahren begleitet Harald Pechlaner das Kompetenzzentrum Tourismus des Bundes in Berlin als wissenschaftlicher Leiter. Er ist außerdem Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste.

Die Beobachtungsstelle für nachhaltigen Tourismus in Südtirol

Südtirol ist Teil des internationalen Netzwerks der Beobachtungsstellen für nachhaltigen Tourismus (INSTO) der Welttourismusorganisation – UNWTO. Die Beobachtungsstelle für nachhaltigen Tourismus in Südtirol (STOST) ist am Center for Advanced Studies von Eurac Research angesiedelt und überwacht, analysiert und kommuniziert die Tourismusentwicklung in der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol. Sie untersucht den sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Nutzen sowie die Kosten des Tourismussektors in Südtirol und gibt Empfehlungen zur Unterstützung eines nachhaltigen Tourismusmanagements.

Weitere Infos: https://sustainabletourism.eurac.edu

Dieses Interview ist zuerst im Kompass #Nr. 4/2023 erschienen.

Valeria von Miller

Valeria von Miller

Valeria von Miller ist Communication Manager am Center for Advanced Studies von Eurac Research. Hauptberuflich sucht sie nach Worten, ansonsten verpackt sie sie gerne in Melodien.

Tags

Citation

https://doi.org/10.57708/b152094943
von Miller, V. Die Zeit des unüberlegten Reisens ist vorbei. https://doi.org/10.57708/B152094943

Related Post

The Future of European SMEs: Seven strategic axes for the re-globalization phase
ScienceBlogs
imagining-futures

The Future of European SMEs: Seven strategic axes for the re-globalization phase

Roland BenedikterRoland Benedikter
Herstory im Tibetischen Buddhismus
ScienceBlogs
imagining-futures

Herstory im Tibetischen Buddhismus

Marlene ErschbamerMarlene Erschbamer
The infodemic is a mirror of the pandemic
ScienceBlogs
imagining-futures

How can we prevent a future infodemic?

Akihico MoriAkihico Mori