Resuscitation doctor Simon Rauch

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„In einer Krisensituation sind Leitlinien von großer Bedeutung“

Ein Gespräch mit dem Intensivmediziner Simon Rauch

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Intensivmediziner Simon Rauch

© Eurac Research | Annelie Bortolotti

Annelie Bortolotti
by Valentina Bergonzi

Der Intensivmediziner Simon Rauch ist gemeinsam mit seinem Kollegen Andreas Clara für die Covid-Intensivstation am Tappeiner-Krankenhaus in Meran verantwortlich; er forscht am Institut für Alpine Notfallmedizin bei Eurac Research. In den vergangenen Wochen wurde sein Arbeitsalltag vom Coronavirus-Notstand überrollt. Die Leitlinien für die Behandlung von Covid-19-Patienten im Meraner Krankenhaus wurden seiner Verantwortung übertragen, da er sowohl als Wissenschaftler als auch als Stationsarzt Erfahrung hat.

Kann man Leitlinien für die Behandlung einer Krankheit festlegen, gegen die es bisher kein Medikament gibt?

Simon Rauch: Man muss es. Vor allem in einer Notfallsituation sind Richtlinien unerlässlich, auch wenn teilweise die wissenschaftliche Evidenz noch dürftig ist. Der Zustand jedes Patienten wird im Einzelnen bewertet, aber es wäre undenkbar, dass jeder Arzt bei jedem Fall wieder ganz von vorne anfängt.

Wie werden diese Behandlungsstandards festgelegt?

Rauch: Für die üblichen Kanäle wie Konferenzen oder wissenschaftliche Zeitschriften ist jetzt keine Zeit. Auch gibt es bisher keine umfangreichen wissenschaftlichen Studien. Wir nutzen stark den Kontakt zu Kollegen über soziale Medien, zum Beispiel WhatsApp-Chats mit Dutzenden von Intensivmedizinern aus der ganzen Welt. Ärzte aus den am stärksten betroffenen Krankenhäusern geben ihre Beobachtungen und Erfahrungen weiter, an denen andere sich dann orientieren. Einige in der Lombardei erstellte Richtlinien haben wir mit Kollegen von Eurac Research ins Deutsche und Englische übersetzt und nach Österreich, Deutschland und in die Schweiz weitergegeben.

Die künstliche Beatmung dieser Patienten ist anders als bei den Fällen von Lungenversagen, die wir normalerweise behandeln, denn die Lungenmechanik ist eine andere.

Welche Rolle spielen wissenschaftliche Zeitschriften in dieser Ausnahmesituation?

Rauch: Auch sie arbeiten anders als sonst. Selbst das altehrwürdige New England Journal of Medicine, das sonst nur mit umfangreichen, detaillierten Statistiken arbeitet und wo Studien einer monatelangen Prüfung unterzogen werden, veröffentlicht jetzt Studien anhand weniger Fälle. Im Moment gilt es vor allem, neue Informationen in Umlauf zu bringen.

Was ist bei dieser Erkrankung anders als bei bekannten Krankheiten?

Rauch: Anders als wir es sonst bei schweren Fällen von Ateminsuffizienz kennen, behalten die Lungen bei den meisten Patienten mit Covid-19 ihr Volumen und ihre Elastizität. Die Ursache der akuten Hypoxie, d.h. des Sauerstoffmangels im Blut, scheint eine Dysregulation im Lungenkreislauf zu sein. Zudem kommt es häufig zu Mikrothrombosen in den Lungengefäßen; besonders die rechte Herzkammer scheint darunter zu leiden, weil sie gegen einen hohen Widerstand pumpen muss. In einigen Fällen kommt es im weiteren Verlauf zu einer Entzündung des Herzmuskels und zum Nierenversagen. Zusätzlich zu den Schäden, die das Virus verursacht, kommt es bei einigen Patienten zu einer starken allgemeinen Entzündungsreaktion. Beeindruckend ist auch, wie viele junge Patienten sich in einem kritischen Zustand befinden; im Vergleich zu älteren Menschen sterben sie selten, doch brauchen auch sie zwei bis drei Wochen intensivmedizinische Versorgung.

Unterscheidet sich auch die intensivmedizinische Therapie?

Rauch:* Zum Teil ja. Wir setzen medikamentöse Therapien ein – z.B. Gerinnungshemmer zur Verhinderung von Blutgerinnseln und antivirale sowie entzündungshemmende Mittel – hinsichtlich deren Wirksamkeit es noch wenig oder keine wissenschaftliche Evidenz gibt. Auch die künstliche Beatmung dieser Patienten ist anders als bei den Fällen von Lungenversagen, die wir normalerweise behandeln, denn die Lungenmechanik ist eine andere.

Wie hat sich ihr Arbeitsalltag verändert?

Rauch: Mit all den Schutzvorrichtungen zu arbeiten ist sehr mühsam: Man schwitzt und die Filter erschweren das Atmen. Um Anzüge und Masken nicht zu verschwenden, müssen wir unsere Pausen sorgfältig und sparsam planen.

Und die emotionale Belastung?

Rauch: Es fehlt der Kontakt: mit den Kollegen, die man nur an den Namen auf den Schutzanzügen erkennt, und zwischen den Patienten und ihren Angehörigen. Wo es möglich ist, versuchen wir, sie telefonisch zu verbinden, aber das ist schwierig. Die Isolation ist absolut, aber das ganze Team der Intensivstation, von den Reinigungskräften über Pfleger und Schwestern bis zu den Ärztinnen und Ärzten ist sehr motiviert und leistet hervorragende Arbeit.

Das Interview wurde am 11.04.2020 in der Tageszeitung Alto Adige veröffentlicht.

Simon Rauch

Facharzt für Anästhesie, Wiederbelebung und Innere Medizin. Nach seinem Studium in Innsbruck arbeitete er in Südtirol, Regensburg und München. Ein Stipendium führte ihn nach London und Brüssel, bevor er 2019 nach Meran zurückkehrte. Er hat an der Universität Innsbruck promoviert und ist seit 2014 Forscher am Institut für Alpine Notfallmedizin von Eurac Research. Seine letzte wissenschaftliche Studie befasste sich mit dem Hängetrauma, das im Klettergurt hängenden Bergsteigern oder Bauarbeitern das Leben kosten kann. Sowohl als Arzt als auch als Klarinettist hat er mehrfach Auszeichnungen gewonnen.

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