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Neue Erkenntnisse aus dem Klimasimulator

Höhenakklimatisierung

Ivo Corrà
© Eurac Research | Ivo Corrà
by Laura Defranceschi

Dass sich unser Blut in der Höhe verändert, ist seit Jahrzehnten bekannt. Welche Mechanismen allerdings dahinter stecken, wird in der Höhenmedizin widersprüchlich diskutiert, was wahrscheinlich den vielen Störfaktoren in Höhenstudien geschuldet ist: Denn Menschen essen, trinken und schlafen in den Bergen meist anders als im Flachland. Im Extremklimasimulator terraXcube ist es unseren Experten gelungen, in simulierter Höhe unter standardisierten Bedingungen neue Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie die Flüssigkeitskonzentration in unserem Blut gesteuert wird, um uns an die Höhe anzupassen.

Neue Möglichkeiten für die höhenmedizinische Forschung

Wohnlich eingerichtet mit Bett, Tisch und Stuhl, Spielkonsole, dazu Speisen und Getränke; die elf Studienteilnehmer sollten sich während ihres Aufenthalts so wohl wie möglich fühlen. Das Besondere an diesem alltäglich anmutenden Szenario: Es ist Teil einer der ersten Studien im Extremklimasimulator terraXcube. Das Forscherteam wollte bestimmte Mechanismen besser untersuchen, mit denen sich unser Organismus an die Höhe anpasst. Denn mit zunehmender Höhe nimmt der Luftdruck ab, und damit steht uns auch weniger Sauerstoff zur Verfügung: Um dies auszugleichen, atmen wir schneller, das Herz schlägt schneller. Besonderes Augenmerk legte die Forschergruppe auf die so genannte Plasmavolumenreduktion, die rasche Abnahme der flüssigen Komponente im Blut. Dieser Mechanismus ist äußerst effizient, um den Sauerstoffgehalt im Blut rasch zu erhöhen und unseren Körper so an die Höhe zu akklimatisieren: Das Plasmavolumen nimmt ab, die Konzentration an roten Blutkörperchen steigt; auf diese Weise kann jeder Liter Blut mehr Sauerstoff transportieren. Was diesen Mechanismus jedoch auslöst und steuert, ist in Höhenstudien in den vergangenen Jahrzehnten bislang mit widersprüchlichen Erkenntnissen untersucht worden. So wurde zum einen vermutet, dass die Ursache eine erhöhte Flüssigkeitsausscheidung sei, die auch die Konsistenz des Bluts verändere. Zum anderen hielt sich – wenn auch durch weniger Daten gestützt – die Theorie einer „Umlagerung“ von Flüssigkeit. Die widersprüchlichen Ergebnisse früherer Studien könnten darauf beruhen, dass Versuchspersonen in den Bergen anders essen und trinken, sich meist anders bewegen und oft schlechter schlafen als in tieferen Lagen. Zusätzlich ist es in der Höhe meist kälter, was Funktionen in unserem Körper ebenfalls beeinflussen kann. Mit der Studie im terraXcube konnte das Forscherteam diese Störfaktoren eliminieren und den Effekt der reduzierten Sauerstoffverfügbarkeit isoliert untersuchen.

Mit unserem Klimasimulator können wir die Umweltbedingungen genau kontrollieren und dadurch standardisierte Vergleiche durchführen. Das ist es auch, was diese Studie so interessant macht – auf dem Berg ist es deutlich schwieriger, die Anpassungsmechanismen unseres Körpers ohne Störfaktoren zu untersuchen.

Christoph Siebenmann, Studienleiter

Die Probanden verbrachten für den Versuch zwei mal vier Tage und Nächte im terraXcube, wobei der Luftdruck einmal dem Niveau von Bozen (ca. 250 Meter über dem Meersespiegel) und einmal dem auf 3.500 Metern über dem Meeresspiegel entsprach. Temperatur und Luftfeuchtigkeit waren stets identisch; das Forscherteam achtete penibel darauf, dass die Versuchspersonen während der zwei Aufenthalte gleich tranken, gleich aßen, gleich schliefen und dass sich auch ihre körperlichen Aktivitäten während der Aufenthalte nicht unterschieden. Es war also bei beiden Aufenthalten alles identisch außer dem Luftdruck und somit der Sauerstoffverfügbarkeit. Während des Versuchs maßen die Forscher das Plasmavolumen der Probanden und untersuchten verschiedene Mechanismen, die das Plasmavolumen regulieren. „Mit unserem Klimasimulator können wir die Umweltbedingungen genau kontrollieren und dadurch standardisierte Vergleiche durchführen. Das ist es auch, was diese Studie so interessant macht – auf dem Berg ist es deutlich schwieriger, die Anpassungsmechanismen unseres Körpers ohne Störfaktoren zu untersuchen“, unterstreicht der Höhenmediziner Christoph Siebenmann, der die Studie leitete.

Studienleiter Christoph Siebenmann beim Messen der intravaskulären Volumina.© | Ivo Corrà

Das Ergebnis: Keine Höhendiurese

Experten aus der Höhenmedizin vermuten mehrheitlich, dass die Plasmavolumenreduktion über die Niere gesteuert wird und in direktem Zusammenhang mit der unter Bergsteigern bekannten Höhendiurese steht, einer als typisch für die Höhe angenommenen vermehrten Harnausscheidung. Doch zeigte sich bei der Studie im terraXcube bei keinem Probanden eine Höhendiurese. Wie das Team rund um Siebenmann hingegen beobachten konnte, wurde die Plasmareduktion im Blut nicht über die Niere gesteuert, sondern von Proteinen, die sich im Blut befinden. Proteine im Blut kontrollieren, wie viel Plasma sich in den Gefäßen befindet. Im Zuge der Akklimatisation im terraXcube verschwand ein Teil dieser Proteine, was dazu führt, dass das Blutplasma sich verlagern und die Konzentration an roten Blutkörperchen in den Blutgefäßen zunehmen konnte. „Die Plasmavolumenreduktion wurde in unserer Studie nicht wie erwartet durch einen Verlust von Flüssigkeit, sondern vielmehr durch eine Umverteilung von Flüssigkeit verursacht“, erklärt Siebenmann. Es gab früher bereits entsprechende Hinweise, doch konnte diese Theorie nie durch derart zuverlässige Daten bestätigt werden. Die Studie im Klimasimulator bringt die Forschung einen wichtigen Schritt weiter: Wie sie zeigen konnte, tritt die Flüssigkeit aus den Blutgefäßen heraus in den extravaskulären Raum, der die Gefäße umgibt. „Unsere Erkenntnisse sind nicht nur von Bedeutung für das Leben in der Höhe – Sauerstoffmangel betrifft auch verschiedene Krankheiten. Indem wir die Effekte der Höhe auf unseren Körper untersuchen, können wir auch dazu beitragen, dass die Symptome von solchen Krankheiten besser verstanden werden“, resümiert Siebenmann.

Mehr Sauerstoff durch rote Blutzellen: Zwei verschiedene Mechanismen mit demselben Ziel

Die Sauerstoffknappheit in der Höhe lässt uns nicht nur körperliche Belastung als anstrengender empfinden – die so genannte Hypoxie kann auch diverse Höhenkrankheiten verursachen, die unter Umständen lebensgefährlich sein können. Allerdings weiß unser Körper sich zu helfen: Im Zuge der Höhenakklimatisation steigt die Konzentration der roten Blutkörperchen an – sie transportieren den Sauerstoff –, so dass sich der Sauerstoffgehalt im arteriellen Blut wieder normalisiert. Diesem Vorgang liegen zwei Mechanismen zugrunde: die oben beschriebene rasche Abnahme der flüssigen Komponente im Blut, des Plasmavolumens, und eine über Wochen dauernde Vermehrung der roten Blutzellen. Letzterer Mechanismus ist auch in Laienkreisen bekannt, weil er häufig in Zusammenhang mit dem Höhentraining im Ausdauersport genannt wird, wo eine Vermehrung der roten Blutzellen die Leistungsfähigkeit steigert. Der Vorgang wird hauptsächlich durch das von den Nieren produzierte Hormon Erythropoietin gesteuert – landläufig bekannt als EPO. Wesentlich schneller reduziert unser Körper das Plasmavolumen: Dieser Mechanismus beginnt ab einer Höhe von ungefähr 2.000 Metern Meereshöhe. Am meisten Plasma „verschwindet“ innerhalb der ersten 24 Stunden aus dem Blut; nach ein paar Tagen in der Höhe stabilisiert sich das Plasmavolumen normalerweise bei 80 – 90 Prozent des Ausgangsvolumens, damit ist der Vorgang abgeschlossen. In Höhen bis 4.500 Metern Meereshöhe kann der Körper auf diese Weise den arteriellen Sauerstoffgehalt innerhalb weniger Tage normalisieren. „Wenn das Plasmavolumen abnimmt, erhöht sich die Konzentration der ‚im Plasma schwimmenden‘ roten Blutkörperchen – entsprechend kann das Blut mehr Sauerstoff transportieren“, erklärt der Höhenmediziner Christoph Siebenmann. Der Mechanismus scheint zudem von großer Bedeutung für die Höhentoleranz zu sein: Gewisse Studien zeigen, dass bei Menschen, die höhenkrank wurden, keine Plasmavolumenreduktion stattfand.

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