Die Gleichstellung der Geschlechter ist ein Grundrecht, ein gemeinsamer Wert der EU und eine Voraussetzung zur Erreichung der EU-Ziele für Wachstum, Beschäftigung und sozialen Zusammenhalt. Die EU verfolgt einen zweigleisigen Ansatz: Einerseits soll die Chancengleichheit und Gleichbehandlung zwischen Frau und Mann gewährleistet werden, andererseits soll jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verhindert werden. Gleichstellung der Geschlechter ist dann erreicht, wenn das unterschiedliche Verhalten sowie die unterschiedlichen Wünsche und Bedürfnisse von Frauen und Männern gleichermaßen beachtet und unterstützt werden.
Als die Römischen Verträge im Jahr 1957 die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) einrichteten, fand sich darin auch ein kurzes Kapitel (Titel VIII) zur Sozialpolitik. Es enthielt mit Art. 119 (heute Art. 141 EG-Vertrag) eine Norm, in der die EWG ihren Mitgliedstaaten zur Aufgabe machte, „den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit“ anzuwenden und im Weiteren beizubehalten. Der Hintergrund dieser Bestimmung war rein wirtschaftlicher Art: Trotz dieser explizit ökonomischen Perspektive hat sich das Gebot der Lohngleichheit jedoch zu einem weit verzweigten System von Rechten und politischen Maßnahmen entwickelt, mit denen Gleichstellungspolitik im Laufe der Jahre gewachsen ist.
Der Vertrag von Amsterdam, der am 1. Mai 1999 in Kraft trat, war für die Bekämpfung aller Formen von Diskriminierung in der Europäischen Union ein wichtiger Schritt nach vorn. Mit den Art. 2, 3 (2), 13 und 141 des EG-Vertrages hat Gleichstellung wesentlich an Bedeutung gewonnen. Der Grundsatz des gleichen Entgelts für gleiche oder gleichwertige Arbeit gemäß Art. 141 des EG-Vertrages ist ein wichtiger Aspekt des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Frauen und Männern. Laut Art. 2 des EG-Vertrags ist die Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen nämlich eine der zentralen Aufgaben der Europäischen Union. Darüber hinaus steht in Art. 3 Abs. 2, in dem die von der EU zu ergreifenden Maßnahmen festgelegt sind, dass die Gemeinschaft bei allen in diesem Artikel genannten Tätigkeiten darauf hinwirkt, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern.
Außerdem ist die Bekämpfung der Diskriminierung zwischen Männern und Frauen durch Art. 13 befestigt worden. Der Vertrag von Nizza, der am 1. Februar 2003 in Kraft getreten ist, hat Art. 13 des EG-Vertrags weiter gestärkt, und nun werden auch Förderungsmaßnahmen vorgesehen, um die Diskriminierungen anhand des Geschlechtes aktiv zu bekämpfen. Die EU-Verordnung Nr. 1381/2013 legt fest, dass die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter gemeinsam mit anderen Maßnahmen zur Bekämpfung der Diskriminierung im Rahmen 57 % der Finanzmittel zugeteilt werden.
Die im Jahr 2000 unterzeichnete EU-Charta der Grundrechte bekräftigt ein weiteres Mal das Verbot von Diskriminierungen und die Verpflichtung, die Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Bereichen zu gewährleisten. Art. 21 legt fest, dass Diskriminierungen insbesondere und unter anderem wegen des Geschlechts verboten sind. Art. 23 fordert Gleichheit zwischen Männern und Frauen in allen Bereichen, einschließlich der Beschäftigung, der Arbeit und des Arbeitsentgelts, und steht explizit der Einführung spezifischer Vergünstigungen für das unterrepräsentierte Geschlecht nicht entgegen. Außerdem verbieten die zahlreichen seit den Siebziger Jahren erlassenen EU-Richtlinien Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts und fördern Gleichbehandlung in verschiedenen Bereichen.
Zusätzlich ist der rechtliche Rahmen der Geschlechtergleichstellung vom Europäischen Gerichtshof ergänzt und gefestigt worden. Der EuGH hat in der Entwicklung der Geschlechtergleichstellung innerhalb der EU sicherlich eine wesentliche Rolle gespielt, denn in einer Reihe richtungsweisender Fälle wurde die Gesetzgebung in der Praxis auf die Probe gestellt, und somit wurden die Richtlinien immer kohärenter und präziser. Außerdem hat der EuGH wichtige Urteile zur Auslegung des EU-Gleichstellungsrechts und einschlägiger Vertragsartikel gefällt.
Die Rechtsetzung hat sich im Laufe der Jahre ständig weiterentwickelt, das Primärrecht wurde erheblich erweitert und zahlreiche Richtlinien wurden verabschiedet. Durch die Doppelstrategie der EU, die Gleichstellungsrichtlinien mit der Förderung des unterrepräsentierten Geschlechts zu kombinieren, um an den Ursachen der Diskriminierung anzusetzen und die Geschlechterperspektive als Priorität politisch zu verankern, wurde in den letzten fünfzig Jahren sicherlich Vieles erreicht. Die Situation von Frauen und Männern in Europa hat sich spürbar verändert. Trotzdem müssen noch viele Herausforderungen in Angriff genommen werden. Wenn auch die Fortschritte quantitativ gesehen unbestreitbar sind, so bedarf es doch noch weiterer Bemühungen, insbesondere was die qualitative Seite der Gleichstellung anbelangt. Die große Herausforderung für die kommenden Jahre wird es sein, das Recht leichter zugänglich und transparenter zu machen, um es der Zivilgesellschaft zu erleichtern, von ihren Rechten Gebrauch zu machen und sie durchzusetzen. Nur somit wird nämlich der Gleichstellungsgrundsatz der Europäischen Union mit Substanz gefüllt werden.
Cecilia Vera Lagomarsino holds a Master’s degree in International Relations from the University of Milan, Italy. During the studying period, she spent one year in Bucharest, Romania with the Erasmus Programme. Currently, she lives in Vienna with her family. Prior to joining the Permanent Delegation of Italy to the OSCE, she has worked at the International Office for Migration (IOM) in the Research and Migration Law Department, at the OSCE Parliamentary Assembly, at the Information Office of the European Parliament, as well as at the Consulate General of Italy in Hamburg, Germany. Moreover, she has deployed with different OSCE/ODIHR Election Observation Missions. Her areas of expertise are gender equality and international law. |
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