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Alte Knochen – neues Wissen

Ein Interview mit den Autoren des ersten deutschsprachigen Lehrbuchs für „Osteologische Paläopathologie“.

by Sigrid Hechensteiner

Der Mediziner Jochen Weber und der Paläogenetiker Albert Zink erklären im Interview, was antike Knochenfunde über frühere Krankheitsbilder verraten und welchen Nutzen die moderne Medizin daraus ziehen kann.

Herr Weber, Ihr Lehrbuch trägt den Titel „Osteologische Paläopathologie“, für den Laien ein fachsprachlicher Zungenbrecher. Wie erklären sie ihm den Inhalt des Buchs?

Jochen Weber: Ganz einfach: Das Buch erläutert, was Skelettfunde aus dem Altertum über Krankheiten oder Verletzungen wie Knochenbrüche verraten. Viele chronische Infektionen, etwa Syphilis oder Lepra, hinterlassen sichtbare Spuren am Knochen.

An dem Buch haben drei Herausgeberaus unterschiedlichen Disziplinen mitgewirkt.

Weber: Ein derart fachübergreifender Forschungszweig kann nur in Zusammenarbeit mit den beteiligten Disziplinen gelingen: In diesem Fall haben der Paläogenetiker Albert Zink, der Anthropologe Joachim Wahl und ich, ein Mediziner, unser jeweiliges Fachwissen eingebracht.

Wie sind Sie, Herr Weber, als Neurochirurg auf den Knochen gekommen?

Weber: Das erscheint zunächst einmal kurios, aber Neurochirurgen haben eine sehr gute Ausbildung in Sachen Knochen und Anatomie. Wir operieren am zentralen Nervensystem und müssen daher, fast immer Knochen entfernen, entweder am Schädel oder an der Wirbelsäule, um den Eingriff vornehmen zu können.

© Eurac Research

„Ein derart fachübergreifender Forschungszweig kann nur in Zusammenarbeit mit den beteiligten Disziplinen gelingen.“

Joachim Weber, Mediziner und Albert Zink, Paläogenetiker, zwei der Herausgeber

Herr Zink, warum ist es so spannend an alten Knochen Krankheiten zu diagnostizieren?

Albert Zink: Menschliche Überreste in Form von Knochen gibt es zuhauf. Mumien sind eher selten. Für die Wissenschaft ist es wichtig viele Proben zu haben, um Krankheitsbilder über längere Zeitspannen einordnen zu können, aber auch um die Entstehung und Verbreitung von Infektionen zu verstehen.

Paläopathologie ist also vor allem aus epidemiologischer Sicht spannend.

Zink: Ja. Sie hilft, Zoonosen – also den Übertritt eines Krankheitserregers vom Tier auf den Menschen – zu verstehen, und damit auch für die Zukunft möglichst zu vermeiden. Erst kürzlich haben Kollegen mit Hilfe der Paläogenetik den Ursprung des schwarzen Todes, der größten Pest-Pandemie vor fast 700 Jahren in Kirgistan festgemacht. Kleinere Ausbrüche gibt es auch heute noch, zuletzt in Madagaskar und China. Aber die hygienischen Verhältnisse und Behandlungsmöglichkeiten sind heute ganz andere als damals, weshalb es auch nie zu einem Flächenbrand – wir sprechen dann von einer Pandemie - kommt.

Im Lehrbuch findet sich auch ein Kapitel zur Paläogenetik – diese Disziplin ist gerade durch den Medizinnobelpreis von Svante Pääbo ins Scheinwerferlicht gerückt.

Zink: Die Paläogenetik – die sich mit der Entschlüsselung von antiker DNA befasst – kann den menschlichen Überresten noch weit mehr Informationen entlocken als bisher für möglich gehalten wurde. Chronisch verlaufende Erkrankungen wie Syphilis und Lepra führen häufig zu Knochenveränderungen, bei Tuberkulose ist das nicht immer der Fall: Hier kann die Paläogenetik Aufschluss geben. Ich sehe in der neuen Disziplin ein immenses Potential für die Erfassung weiterer Infektionskrankheiten und damit auch für zielgerichtete Vorbeugung und Eindämmung von Epidemien und Pandemien.

Wird die Paläogenetik die moderne Medizin revolutionieren?

Zink: Mit Sicherheit wird sie in Teilgebieten der Medizin neue Erkenntnisse bringen. Sonst hätte es wohl keinen Nobelpreis in Medizin für diese Disziplin gegeben. In den 1990er Jahren war Svante Pääbo Professor an der Universität München, und ich war als Studierender von Beginn an von dieser neuen Forschungsrichtung fasziniert. Damals hat Pääbo die ersten Versuche ge-macht, aus ägyptischen Mumien DNA zu extrahieren. Später war einer meiner Kommilitonen maßgeblich an dem ersten Nachweis von Neanderthaler DNA beteiligt. Pääbo gelang es zudem als erster, einen Abschnitt der mitochondrialen DNA von Ötzi zu entschlüsseln. Jahre später konnten wir die genetischen Ergebnisse bestätigten und auf das gesamte Erbgut erweitern.

Zum Buch


Osteologische Paläopathologie
Weber / Wahl / Zink
Ein Handbuch für Anthropologen, Mediziner und Archäologen
Fachbuch
Hardcover
2022
688 S. ca. 600 Fotos, Grafiken und Röntgenaufnahmen
Lehmanns Media GmbH
ISBN 978-3-96543-314-4

Das Buch kann hier bestellt werden.

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