Dieser Beitrag ist Teil der Serie “Crafts in Crisis: How to Deal With the Virus”. Forscherinnen und Forscher des Center for Advanced Studies beleuchten die Auswirkungen der Coronakrise auf das Handwerk – in Südtirol und darüber hinaus. Die Idee für diese Serie entstand in Zusammenhang mit dem EU-finanzierten Interreg-Projekt „FuturCRAFT“, welches sich mit der zukünftigen Entwicklung von Handwerksberufen und dem Einfluss der Digitalisierung auf das Handwerk beschäftigt. |
In Südtirol hat das Handwerk Tradition: Über Generationen hinweg übernehmen die zumeist kleinstrukturierten und familiär geführten Handwerksbetriebe bereits Verantwortung für ihr regionales Umfeld, die dort lebenden Menschen, die meist langjährigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Kundinnen und Kunden[1]. Ihr generationenübergreifendes Bestehen zeugt von Innovationsfähigkeit und – bewusst oder intuitiv – nachhaltigem Handeln. Mit der Coronakrise stehen viele jedoch wie vor einer weißen Wand. Die bisher so vertraute Struktur in den Betrieben ist wie weggewischt. Leitlinien müssen neu gezeichnet und manche Textur in einen neuen Zusammenhang gesetzt oder völlig überdacht werden. Diese blanke Wand kann beunruhigen oder eben herausfordern, sie neu zu gestalten.
Die seit Mitte März getroffenen Regulierungsmaßnahmen von Seiten der italienischen Regierung zwangen auch den Großteil der Südtiroler Handwerksbetriebe in die Knie. Unter den Handwerkern machte sich zunächst Skepsis, Angst und Unsicherheit breit. Wie geht es mit meinem Unternehmen weiter? Wie steht es um die ökonomische Nachhaltigkeit, wenn kein Umsatz geschrieben wird? Was passiert mit den MitarbeiterInnen? Mit welchen langfristigen Folgen muss gerechnet werden? Die Folgewirkungen dieser Krise für Unternehmen sind kaum abzuschätzen, wobei feststeht, dass die Überlebensfähigkeit des ein oder anderen Betriebes an einem seidenen Faden hängt. Neben all den Ängsten und Sorgen, macht sich gleichzeitig Mut und Optimismus breit. Einige Handwerksunternehmen erkennen, dass jede Krise eine Chance birgt, die es zu nutzen gilt. Der Rhythmus der sonst so vielbeschäftigten und gestressten HandwerkerInnen hat sich etwas verlangsamt. Zeit, Liegengebliebenes aufzuarbeiten und über Neues nachzudenken.
Die Südtiroler Wirtschaft ist gesund. Summa summarum lässt sich behaupten, dass sich dies auch auf die Auftragslage im Südtiroler Handwerk auswirkt. Da bleibt oft nicht viel Zeit für nicht unmittelbar Notwendiges, das Liegengebliebene häuft sich. Die Entschleunigung macht nun etwas Zeit locker, sich an diesen “Haufen” heranzuwagen.
Plötzlich lässt sich Zeit zum Nachdenken finden. Schlag auf Schlag wird einigen Personen bewusst, wie wichtig es ist, vorzusorgen. Für einen gesunden Betrieb bedeutet das, dass er für Krisenmomente vorgesorgt, sich etwas „Fett angefressen“ hat, um in mageren Zeiten nicht vor vollendeten Tatsachen zu stehen. Vorsorge ist in diesem Zusammenhang nicht nur im Sinne der Liquidität zu verstehen, sondern auch im Umgang mit anderen Herausforderungen der heutigen Zeit. Ganz prominent im Handwerk: Herausforderungen im Zusammenhang mit der Nachhaltigkeit und Digitalisierung.
In Krisenzeiten – und so auch aktuell – wird blitzartig klar, wie plötzlich man mit Herausforderungen konfrontiert wird und wie sie sich in Chancen verwandeln lassen. Abgesehen von der nicht immer reibungslos funktionierenden Internetverbindung ist es möglich, mittels digitaler Instrumente, Arbeitsprozesse anders zu gestalten oder gar zu vereinfachen. Plötzlich fragt sich der eine oder die andere, wieso man bloß bisher für jedes Kundengespräch eineinhalb Stunden Autofahrt in Kauf genommen hat, wenn man doch manche Kleinigkeiten auch problemlos via Zoom, Skype oder WhatsApp hätte besprechen können.
Nachhaltigkeit ist in Südtirol und dessen Handwerksbranche ein vieldiskutiertes Thema[2]. Die Denkpause während der Covid-19-Ausgangssperre bietet die einmalige Chance, zu beobachten, was mit Natur und Mensch geschieht, wenn er einigen Stressfaktoren entzogen wird und verstärkt darüber nachzudenken, wie man sich und das eigene Verhalten sowie jenes des Unternehmens ökonomisch, sozial und ökologisch nachhaltiger gestalten kann. Plötzlich wird sowohl den Unternehmen als auch den EndkundInnen klar, wie essenziell es ist, auf regionale Netzwerke zurückgreifen zu können. Abhängigkeitsverhältnisse, sei es von Branchen, KundInnen oder Produkten zu überdenken und sich breiter aufzustellen. Wie es so schön heißt, „Not macht erfinderisch“: Nachhaltige Produktangebote, neue Geschäftsideen und Kollaborationen sprießen aus dem Boden wie Grashalme im Frühling.
Jenen HandwerkerInnen, die diese aktuelle Krise auch als Chance sehen, nützt die gewonnene Zeit letztlich, um die betriebliche Resilienz zu stärken. Innovation kann ein wichtiger Schlüssel dafür sein: Alte und neue Ideen zu schärfen, Produktalternativen zu testen oder Erfindungen zu realisieren. Das eigene Unternehmen resilient zu machen und für die nächste Krise zu wappnen hat ebenso mit einem regelmäßigen Hinterfragen betrieblicher Prozesse und Funktionsweisen und gleichzeitig mit dem Sich-Heranwagen an alternative Geschäfts- und Organisationsmodelle zu tun. Darunter fallen sowohl innerbetriebliche Abläufe, wie etwa die Arbeitsorganisation, die Arbeitszeitmodelle und die Beziehung zu den MitarbeiterInnen als auch das Auftreten und Handeln des Unternehmens nach außen, wie etwa die Kommunikation, der Vertrieb oder die Kundenbeziehungen. Der rasant fortschreitende Digitalisierungsprozess der letzten Wochen zeigt, dass das Wirtschaften, oder zumindest der Vertrieb, mittels digitaler Plattformen mehr als zeitgemäß ist.
Letztlich zeigt Covid-19, dass ein intensiver Austausch über bestehende Herausforderungen und Chancen der Südtiroler Handwerksbranche guttut. Das gemeinsame Arbeiten an der betrieblichen Resilienz trägt sowohl zur Sicherung der betrieblichen Nachhaltigkeit als auch zur Erfüllung der gesellschaftlichen Verantwortung bei[3].
Die Überlebensfähigkeit von Unternehmen hängt am Ende nicht nur vom erleichterten Zugang zu Liquidität ab, sondern auch von veränderten Kundenerwartungen und anderen Faktoren. Insofern wird es am Ende bestimmt Unternehmen geben, die diese Krise nicht überstehen. Allerdings wird es gleichzeitig einem Großteil der Südtiroler Handwerksbetriebe aufgrund ihres familiären Zusammenhaltes, der engen Bindung zu ihrem lokalen Umfeld, der Innovationsfähigkeit, dem Mut und Optimismus gelingen, diese Covid-19-Krise zu überstehen. In diesem Fall bleibt zu hoffen, dass die Relevanz resilienten Wirtschaftens und einer nachhaltigen Betriebsorganisation langfristig in den Köpfen der UnternehmerInnen bleibt. In ihrem eigenen Sinne und im Sinne der Gemeinschaft gilt es, den Freiraum dieser weißen Wand zu nutzen.
Daria Habicher ist Politologin und Sozioökonomin am Center for Advanced Studies von Eurac Research sowie Mitglied des Innovationsrates und der Arbeitsgruppe für Nachhaltigkeit des LVH Südtirol. Sie ist überzeugt davon, dass das Virus uns zur Entschleunigung zwingt und das Überdenken nicht-nachhaltiger Verhaltensmuster fördert. |
[1] Pranter. R. (2020). Nachhaltigkeit. In: Manufakt – Fachzeitschrift für die Südtiroler Wirtschaft, 01/20. Bozen (letzter Aufruf am 07.04.20 https://issuu.com/lvh-apa/docs/manufakt_012020_de_web).
[2] Ebd.
[3] Deutsches Handwerksinstitut (2012). Nachhaltigkeit im Handwerk. (Hrsg.). Bizer, K., Haverkamp, K. Göttingen.
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