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Belastungsprobe im Zeitraffer

Das Experiment mit Pflanzen, die wegen des Klimawandels in höhere Lagen abwandern, geht in die nächste Runde

by Valentina Bergonzi

Um sich vor den Folgen der globalen Erwärmung zu schützen, sind die Pflanzen in den Alpen in den letzten vierzig Jahren rund 200 Meter in die Höhe gewandert. Ein Team von Eurac Research entnimmt – in Zusammenarbeit mit den Universitäten von Verona und Innsbruck – Pflanzenproben und untersucht ihre Reaktionen in verschiedenen Höhenlagen im terraXcube, unserem Zentrum für Extremklimasimulation. Das Augenmerk liegt darauf, wie sich der veränderte Luftdruck auswirkt. Nach dem ersten Studienjahr zeigen sich erste Anpassungsmaßnahmen, aber es braucht weitere Tests, um die Ergebnisse zu untermauern.

„Hierher, hier sind viele!” Die Stimme kommt hinter einem steilen Hang hervor, knapp dreißig Meter von uns entfernt. Wir befinden uns im Matschertal, einem kleinen Seitental im Vinschgau, auf einer Höhe von etwa 1.500 Metern Meereshöhe. Silvia kniet auf dem Boden und deutet lächelnd mit den Händen vor sich. Ein paar vereinzelte Lärchen auf der abschüssigen Wiese und die Umrisse von einigen Kälbern verhindern eine gute Sicht auf sie. Aber sobald sie die Stimme hören, richten sich ein paar Menschen aus ihrer gebückten Haltung auf und bewegen sich schnell in ihre Richtung. Die Gruppe ist sportlich gekleidet. Man könnte meinen, sie wären auf der Suche nach Schwarzbeeren. Doch Silvia Lembo, Biologin von Eurac Research, hat eine Fläche mit „behaarten“ Kleepflanzen entdeckt; die sechs Forscherinnen und Forscher beeilen sich, die Pflänzchen einzusammeln, zu verstauen und nach Bozen zu bringen. Dort beginnt die zweite Phase des Projekts Upshift, das die Anpassung von Pflanzen in großen Höhen untersucht, wenn sie durch den Klimawandel unter Druck geraten.
„Der mit feinen Härchen bedeckte Klee ist etwas schwieriger zu finden, aber für unser Experiment ziehen wir ihn dem gemeinen Klee vor“, erklärt Lembo, während sie mit einem Stecheisen einen kleinen Erdklumpen herauszieht und das Pflänzchen mitsamt den Wurzeln in einen schwarzen Kunststoffbehälter mit kleinen Löchern einsetzt. „Aus botanischer Sicht sind die beiden Pflanzen gleich, aber der Flaum bildet eine Hülle, die die Blätter schützt, mehr Wasser zurückhält und sie widerstandsfähiger gegen Veränderungen macht.“ Es müssen 120 Proben mit Kleepflänzchen gesammelt werden: mehrere Stunden Arbeit, nur durch eine kleine Jause unterbrochen, die sitzend auf einem Felsen gegessen wird.

alt© Eurac Research | Marina Baldo

Insgesamt wurden 240 Pflanzenproben entnommen, dazu noch einige Exemplare zur Sicherheit. Die Probenahmestelle befindet sich im Matschertal auf einer Höhe von 1.500 Metern. Im Hintergrund sieht man die Ortlergruppe.

alt© Eurac Research | Marina Baldo

Das Habichtskraut (Hieracium pilosella) ist eine kleine, behaarte Pflanze mit adstringierenden und reinigenden Eigenschaften, deren tiefgelbe Blüte mit der des Löwenzahns verwechselt werden könnte.

alt© Eurac Research | Marina Baldo

Es gibt zwei Arten von Klee: eine mit Härchen bedeckte und eine mit glatten Blättern. Botanisch gesehen sind die beiden Pflanzen gleich, aber der Flaum bildet eine Hülle, die die Blätter schützt, mehr Wasser zurückhält und sie widerstandsfähiger gegen Veränderungen macht.

alt© Eurac Research | Marina Baldo

Der Ökologe Georg Niedrist, verantwortlich für das Projekt Upshift.

alt© Eurac Research | Marina Baldo

Die Biologin Silvia Lembo

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Die Ökologin Bouchra El Omani

alt© Eurac Research | Marina Baldo

Der Boden ist ziemlich hart; es gibt verschiedene Techniken, um die Pflanzenproben zu entnehmen. Eine davon ist ein Metallzylinder ohne Boden. Alternativ kann man auch ein Stecheisen und einen Hammer verwenden. Wichtig ist, dass die Wiese nicht zu sehr beschädigt wird: Die Löcher sollten so klein wie möglich sein, sie werden sofort geglättet.

Für die Studie muss die Gruppe zum Klee noch 120 Exemplare des Habichtskrauts (Hieracium pilosella) hinzufügen. Es ist ebenfalls eine behaarte Pflanze mit adstringierenden und reinigenden Eigenschaften, deren tiefgelbe Blüte mit dem Löwenzahn verwechselt werden könnte. „Wir müssen darauf achten, dass die Pflanzen nicht zu nahe beieinander stehen, da sie sonst miteinander konkurrieren und die eine schneller wächst als die andere, um sich durchzusetzen“, betont Bouchra El Omari, Biologin und Expertin für funktionelle Ökologie. „Wir achten darauf, dass die Blätter ähnlich groß sind; wenn die Proben zu unterschiedlich sind, sind die Beobachtungen weniger zuverlässig.“ El Omari verwendet ein Instrument, eine Art Metalltopf ohne Boden, mit dem sie in die Erde sticht und die Klumpen entnimmt. Das Loch darf nicht zu groß sein, damit die Wiese nicht zu sehr verunstaltet wird. Es wird sofort geglättet.

Eine Kuh nähert sich mit ihrer Schnauze den Behältern, die bereits mit Pflänzchen gefüllt sind. Ein Forscher schiebt sie mit sanfter, aber fester Hand weg, bevor sie wieder weitergrast. Kühe und Pflanzen sind Teil desselben Ökosystems. Veränderungen, die einen Part betreffen, wirken sich zwangsläufig auch auf die anderen Elemente aus. Wenn sich die Pflanzen verändern, wie reagieren dann die Kühe darauf? Und wie werden sich die Pflanzen in einer neuen, höher gelegenen Umgebung verändern?

„Die Daten, die uns am meisten interessieren, sind die von 2.500 Metern Höhe; eine Höhe, die sowohl der Klee als auch das Habichtskraut in naher Zukunft wahrscheinlich erreichen werden.“

Bouchra El Omari

Studien haben gezeigt, dass sich die Vegetation aufgrund der Klimakrise in zehn Jahren um etwa 50 Meter und in vierzig Jahren um 200 Meter in die Höhe verlagert haben, mit veränderten Temperaturen, anderer Sonneneinstrahlung und Verfügbarkeit von Kohlendioxid und vor allem geringerem Luftdruck. „Die Auswirkungen der höheren Temperatur und der intensiveren Sonneneinstrahlung sind hinlänglich bekannt. Wie sich der veränderte Luftdruck auf das Pflanzenwachstum auswirkt, ist hingegen noch weitgehend unbekannt“, erklärt El Omari.
Jeder, der schon einmal in den Bergen gewandert ist, weiß, wie schwer das Atmen in 1.500 oder 2.500 Metern Höhe fällt, weil der Druck abnimmt und damit auch der Sauerstoffgehalt der Luft. Über die Physiologie des Menschen und seine Anpassung an die Höhe ist viel geforscht worden, über die Auswirkungen auf die Pflanzen ist nichts bekannt. Andererseits bewegen sich Pflanzen auch nicht so schnell. Und nicht nur das: Einzelne Parameter kann man in der freien Natur schlecht untersuchen, man muss sich dazu in eine Klimakammer begeben. Gerade diese Dimension macht das Projekt Upshift für die wissenschaftliche Gemeinschaft zu einem einzigartigen Projekt.

Die Forscherkollegen Harald und Mario sowie zwei Studentinnen, die sich nach einer Vorlesung an der Universität Innsbruck als Assistentinnen zur Verfügung gestellt haben, helfen Silvia und Bouchra beim Verladen der kostbaren Fracht auf den Pickup. Die Klimareise für die 240 Pflänzchen beginnt.

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Einige Stunden später werden die Pflanzen im Untergeschoss des terraXcube, dem Zentrum für Extremklimasimulation von Eurac Research, eingetopft und an ein Bewässerungssystem angeschlossen. Ein Teil von ihnen wird einer invasiveren Behandlung unterzogen: Die Forscherinnen und Forscher lösen die Erde von den Wurzeln, waschen sie unter fließendem Wasser und topfen die Pflänzchen dann in Erde aus 2.500 Metern Höhe um, also 1.000 Meter höher als im natürlichen Lebensraum der Pflanzen. „Wir tun dies, um die realen Bedingungen so gut wie möglich zu simulieren“, erklärt Silvia Lembo, während sie die kleinen Wurzeln vorsichtig eingräbt. „Auch die Zusammensetzung des Bodens ändert sich mit der Höhenlage.“

Andere Luft und anderer Boden


Am Projekt Upshift arbeitet auch ein Forschungsteam der Universität Innsbruck mit. Ihr Ziel ist es, zu beobachten, was mit den im Boden lebenden Mikroorganismen geschieht und wie sie mit Pflanzen interagieren. Untersucht werden unterschiedliche Kombinationen: Mikroorganismen, die in simulierte höhere Lagen gebracht werden, aber mit denselben Pflanzen, mit denen sie zu leben gewohnt sind, und Mikroorganismen, die stattdessen auf derselben Höhe (2.500 Meter) gehalten werden, aber mit importierten Pflanzen (die aus niedrigeren Lagen stammen).

Jeder Topf wird mit einem Filzstift beschriftet, jede Probe wird genau auf einer Tabelle vermerkt. Dann werden die Pflanzen auf die vier kleinen Klimakammern des terraXcube verteilt, und die Türen werden geschlossen.
Die in den Kammern eingestellten Klimaparameter sind dieselben, die an den Messstationen von Eurac Research im LTER-Standort im Matschertal gemessen wurden.

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Die Bewässerungsintervalle (30 ml pro Tag und Topf), die Temperatur (von minimal 12 °C bis maximal 15 °C) und die Lichtintensität (nachts dunkel und tagsüber zwischen 10 und 85 Prozent schwankend) sind in allen Kammern gleich. Der Druck hingegen ändert sich und simuliert 260 Meter (Bozen), 1.500, 2.500 und 4.000 Meter Meereshöhe. „Die größte Höhe ist natürlich übertrieben, in der Natur wandern die Pflanzen nicht so hoch, aber wir brauchen sie, um ihre Reaktion auf die Spitze zu treiben und besser zu sehen, was passiert“, erklärt Bouchra El Omari. „Die Daten, die uns am meisten interessieren, sind die von 2.500 Metern Höhe; eine Höhe, die sowohl der Klee als auch das Habichtskraut in naher Zukunft wahrscheinlich erreichen werden.“

„Beim Klee verzeichneten wir in den ersten zwei Wochen einen Rückgang des Chlorophyllgehalts, bevor er sich in den Wochen danach erholt hat.”

Silvia Lembo

Nach einer Woche der Eingewöhnung beginnen die Messungen, um zu sehen, wie die Pflanzen auf den Stress durch die Veränderung reagiert haben. El Omari, Lembo und Kollegen machen sich an die Arbeit. Mit verschiedenen Instrumenten messen sie das Wachstum der Blätter, den Chlorophyllgehalt und die Transpiration (Abgabe von Wasserdampf an die Luft). Anschließend tragen sie alle Daten sorgfältig in eine Excel-Tabelle ein.
Tagsüber „atmen“ die Pflanzen Kohlendioxid ein und Wasserdampf aus. Die Hypothese lautet, dass die Pflanzen aufgrund des niedrigeren Drucks in großer Höhe mehr Wasserdampf ausatmen, so dass sie stärker unter Austrocknung leiden und ihr Wachstum beeinträchtigt wird.

alt© Eurac Research | Marina Baldo

Im vergangenen Jahr hatte die Arbeitsgruppe bereits eine ähnliche Testreihe mit Klee und mit der Stein-Zwenke (Brachypodium rupestre), einem Gras, durchgeführt. „Beide Arten – und insbesondere die Stein-Zwenke – erwiesen sich als äußerst widerstandsfähig. In niedrigeren Höhenlagen konnten wir bei keinem Parameter signifikante Veränderungen feststellen, erst auf 4.000 Metern beobachteten wir einen allgemeinen Rückgang der Biomasse. Beim Klee verzeichneten wir in den ersten zwei Wochen einen Rückgang des Chlorophyllgehalts, bevor er sich in den Wochen danach erholt hat“, sagt Lembo. „Aus dem gleichen Grund stellen wir diesmal als Kontrollart eine im Gewächshaus gezüchtete Art, die Gänserauke Arabidopsis thaliana, zum Vergleich neben die in der freien Natur entnommenen Pflanzen.“ Lembo verabschiedet sich und schließt die Tür des Simulators hinter sich: Er wird sie – zusammen mit ein paar Kolleginnen und Kollegen – auf 4.000 Meter Höhe bringen, um die Messungen abzuschließen. Die endgültige Veröffentlichung der Ergebnisse wird für Ende 2024 erwartet.

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